* Herrn Prof. Dr. habil. med. Jacek Dutkiewicz zum 70. Geburtstag gewidmet.
Zusammenfassung: Vorgestellt wird eine 40-jährige Landwirtin mit seltener Koexistenz von 4 allergischen Berufskrankheiten, alle verursacht durch eine Soforttyp-Allergie auf Rinderallergene (Bos domesticus). Die ersten Beschwerden verspürte sie nach 6 Jahren Arbeit auf einem Bauernhof. Die allergischen Manifestationen traten in der Reihenfolge Rhinitis, Proteinkontaktdermatitis, Asthma, Konjunktivitis und Kontakturtikaria auf. Der Zeitabstand zwischen dem Auftreten der ersten und der letzten allergischen Symptomen betrug 9 Jahre. Pricktests mit Aeroallergenen, Haus- und Nutztieren sowie landwirtschaftlichen Stäuben fielen negativ aus, das Gesamt-IgE (90 kU/l) war im Normbereich. Intrakutanteste mit Rinderepithelien waren positiv, ebenso die bronchiale Provokation. Spezifisches IgE wurde gegen Rinderepithelien (CAP Klasse 3), aber nicht gegen Rinderserum (CAP 0) festgestellt. Eine Sensibilisierung auf Ziegenepithel (i.c. positiv, CAP 2) wurde als Kreuzreaktion interpretiert, da die Patientin keinen Kontakt mit Ziegen hatte. Der Artikel enthält auch eine Übersicht von bekannten Allergenquellen und Berufen in denen Rinderallergie vorkommen kann. Schlüsselwörter: Berufsallergie, Bauern, Landwirtschaft, Rinderallergene, allergische Rhinitis, Konjunktivitis, Kontakturtikaria, Proteinkontaktdermatitis, Asthma, Multiorgan-Allergie. |
Gegenwärtig sind insgesamt 15 Allergene des Rindes (Bos domesticus) bekannt, inklusive 3 Variationen vom Majorallergen Bos d 2 [1]. Sieben von diesen Allergenen werden in der offiziellen IUIS Allergenen-Nomenklatur aufgeführt [17]. In der Arbeitsmedizin spielt das Haar- und Epidermisallergen Bos d 2 wahrscheinlich die wichtigste Rolle [27, 30, 53]. Spezifische IgE-Antikörper gegen Rinderallergene kommen bei 1,1 - 8,8% Landwirten vor [26, 38]. Trotzdem sind die von ihnen verursachten Berufserkrankungen der Luftwege bei Viehzüchtern relativ selten [29]. Auch über Kontakturtikaria und Protein-Kontaktdermatitis gegen Rinderallergene wird lediglich in Kasuistikartikeln berichtet [3, 23, 32]. In diesem Artikel wird eine Landwirtin vorgestellt, bei der Typ-I-Sensibilisierung auf Rinderepithelallergene zu Berufskrankheiten von 4 verschiedenen Schockorganen führte.
Anamnese und Befund
40-jährige Frau, seit dem 16. Lebensjahr in einer Familienlandwirtschaft berufstätig. Nach ungefähr 8 Jahren Arbeit traten erste Symptome beim Kontakt mit Kühen auf (Abb. 1). Anfänglich waren es Niesanfälle mit wäßrigem Sekret. Die Symptome traten regelmäßig ca. 10 min nach Betreten des Kuhstalls auf und ließen eine halbe Stunde nach Expositionsende nach. Ein Jahr später kam eine juckende Dermatose an den Händen, insbesondere in den interdigitalen Räumen, dazu. Die Hautbeschwerden traten wiederum ausschließlich beim Kontakt mit Kühen auf. Ungefähr noch ein Jahr später kam es zu ersten Dyspnoe-Anfällen. Anfänglich trat die Atemnot nur während der Arbeit mit Kühen auf, allmählich hat sie sich auch auf andere Lebensaktivitäten ausgeweitet. Der Aufenthalt im Kuhstall blieb, neben Körperanstrengung, der wichtigste Dyspnoe-Auslöser. Im 29. Lebensjahr kam es zur wesentlichen Verschlimmerung aller beschriebenen Symptome. Zusätzlich kam eine Konjunktivitis dazu. Nach ungefähr 4 weiteren Jahren erschienen zum ersten Mal intensiv juckende Quaddeln auf Hautarealen, die dem Kontakt mit Kühen ausgesetzt waren. Überwiegend waren es Hände und Unterarme, gelegentlich auch die Stirn als sich die Patientin beim Melken zufällig mit der Stirn gegen den Kuhleib lehnte. Die Urticae erschienen innerhalb von wenigen Minuten und ließen ca. 1 Stunde später nach. Weiterhin berichtete die Patientin über rhinitische Beschwerden bei Exposition gegen Getreidestaub. Sie traten beim Getreideschroten und Füttern der Tiere auf. Doch diese Beschwerden fand sie kaum belästigend.
Abb. 1. Entwicklung der Symptome bei der Landwirtin.
Allergologische Diagnostik
Befund bei der ersten Konsultation: Obesitas und Bluthochdruck. Keine Krankheitssymptome von Seiten der Haut und der Luftwege. Rhinoskopisch ließ sich eine mittelgradige Rötung und Schwellung der Nasenschleimhaut feststellen.
Pricktests wurden mit einem breiten Allergenenspektrum durchgeführt, einschließlich Rinderepithelien, anderer Tierepithelien,-haare und -federn, Hausstaub- und Vorratsmilben, Schimmelpilzen, Mehlen und Kleien (Allergopharma, Reinbek) sowie Heu-, Stroh- und Getreidestaub (Biomed, Krakau). Alle diese Tests fielen negativ aus. Im Intrakutantest mit Tierallergenen (Allergopharma, Reinbek) hatte die Patientin positive Reaktionen auf Rinderepithelien (nach 20 min Quaddel von 22 mm Diameter), Ziegenepithelien (18 mm) und Schafwolle (17 mm). Während des Tests erschienen an Hals und beiden Unterarmen vereinzelte Urticae, die sich ohne Behandlung nach ca. 2 Stunden rückbildeten. Einige Stunden später verspürte die Patientin Hautjucken an den Händen. Am nächstem Tag hatte sie in den Zwischenfingerräumen eine Rötung und kleine Vesikopapeln, die erst nach einer Woche völlig abheilten (auf deren medikamentöse Behandlung wurde mit Zustimmung der Patientin wegen der geplanten bronchialen Provokation verzichtet). Epikutantest mit europäischer Standardreihe (Chemotechnique Diagnostics, Malmö) zeigte eine (+)-Reaktion [36] auf Nickelsulfat. Die Pufferkapazität der Haut war im Normbereich. Das Gesamt-IgE (90 kU/l) war im Normbereich (bis 120 kU/l). Allergen-spezifische IgE (UniCAP 100, Pharmacia, Uppsala) brachte folgende Ergebnisse: Rinderhaare (8,08 kU/l = CAP Klasse 3), Ziegenepithel (1,55 kU/l = CAP Klasse 2). Spezifische IgE gegen weitere tierische Allergene, inklusive Rinderserumalbumin und Schafepithel waren nicht nachweisbar.
Der bronchiale Provokationstest wurde als einfach-blinde Prozedur durchgeführt. Nach Ausschließen von Kontraindikationen [12], verlief die Provokation nach folgendem Schema: Spirometrie - ein tiefer Atemzug aus dem Vernebler - Spirometrie unmittelbar sowie nach 10 und 20 Minuten - 10 Atemzüge - Spirometrie unmittelbar, nach 10 und 20 Minuten - wiederum 10 Atemzüge - Spirometrie unmittelbar, nach 10 und 20 Minuten, sowie 1 und 6 Stunden später. Als Positivkriterium wurde der FEV1-Abfall um 20% angenommen [13]. Bei der ersten Provokation inhalierte die Patientin physiologische Kochsalzlösung mit Konservierungsmittel Phenol als Negativkontrolle (0,5 ml im Ultraschallvernebler, Wasserbadtemperatur 37°C). Die maximale Schwankung der FEV1 Werte überschritt die 20%-Grenze nicht. Die zweite Provokation wurde nach demselben Schema mit 1:1000-Verdünnung der Rinderepithelallergenlösung durchgeführt (5000 BU/ml, Allergopharma, Reinbek). Die Prozedur ergab keine positive Reaktion. Nach Provokation mit der 1:100-Allergenlösung fiel das FEV1 genau um 20%. Angesichts des "Grenzresultates" und guten Allgemeinzustandes der Patientin wurde eine weitere Provokation mit der 1:10 Allergenlösung beschlossen. Diese ergab 20 min nach dem Einatmen der gesamten Dosis einen 27%-igen FEV1-Abfall. Diesmal klagte die Patientin über erschwertes Atmen während der Provokation, das nach 2 Dosen Fenoterol Spray schnell nachließ.
Interessant an dem vorgestellten Fall ist die Vielfältigkeit der Symptomatik, hervorgerufen durch ein Berufsallergen. Es wurden vier Berufskrankheiten festgestellt, mit Einbeziehung von insgesamt 4 Schockorganen: oberen und unteren Luftwegen, Conjuctivae und Haut. Derartige "multi-organ"-Berufskrankheiten sind selten. Nur ein Bericht stellt ähnliche Symptomenkonstellation im Verlauf einer Berufsallergie auf Nickel vor [9]. Neulich wurde gemeinsames Auftreten von beruflich bedingter Urtikaria, Angioödem, Rhinokonjunktivitis und Asthma beschrieben, allerdings bei einer polyvalenten Sensibilisierung [31]. Vor 44 Jahren wurde über eine Krankheiten-Trias (Rhinitis, Asthma und Urtikaria) auf Rinderallergene berichtet [35]. Etwas häufiger sind Berufskrankheiten von zwei Schockorganen wie z. B. Dermatitis mit Asthma [33, 39] oder Kontakturtikaria mit allergischer Rhinitis [40]. Das gemeinsame oder nacheinander Auftreten von Kontakturtikaria und Protein-Kontaktermatitis ist dagegen keine Seltenheit [2, 51].
Berufskrankheit | Allergenquelle | Betroffene Berufsgruppen |
---|---|---|
Rhinokonjunktivitis | Epithelien/Haar | Landwirte [30, 41, 45, 48, dieser Bericht]
Tierärzte [35] |
Urin | Landwirte [30, 48] | |
Kristallisiertes Serum | Laboranten [18] | |
Rinderimmunoglobulin G | Laboranten [44] | |
Asthma | Epithelien/Haar | Landwirte [33, 45, 48, 52, dieser Bericht]
Tierärzte [35] |
Urin | Landwirte [48, 52] | |
Knochenstaub | Fleischer [7] | |
Kristallisiertes Serum | Laboranten [18] | |
Protein-Kontaktdermatitis | Epithelien/Haar | Landwirte [8, 21, 23, 33, 35, 37, 41, 46, dieser Bericht]
Tierärzte [15, 28] |
Milch | Käser [24, 35]
Landwirte [37] |
|
Speichel | Landwirte [4] | |
Fruchtwasser | Tierärzte [5, 15, 28, 32] | |
Plazenta | Kosmetikerinnen [49] | |
Blut | Fleischer [54]
Tierärzte [5] |
|
Fleisch | Fleischer [3, 25, 54]
Köche [16] |
|
Därme | Fleischer [11] | |
Leber | Fleischer [10] | |
Kontakturtikaria | Epithelien | Landwirte [22, dieser Bericht]
Tierärzte [35] |
Fruchtwasser | Tierärzte [20, 34] | |
Plazenta | Tierärzte [34] | |
Blut | Fleischer [14] | |
Serum | Tierärzte [20] | |
Fleisch | Lebensmittelhändler [50]
Bäcker [19] |
Berufsallergien auf Rinderallergene kommen in den meisten europäischen Ländern selten vor, trotz relativer Verbreitung von spezifischen IgE-Antikörpern in exponierten Gruppen [26, 29]. In einer Stichprobe von 68 polnischen Landwirten (Durchschnittsalter 47 Jahre) fand der Autor IgE-Antikörper gegen Rinderallergene in 8,8% und positive Pricktests in 7,3%. Keine der untersuchten Personen klagte über jegliche Beschwerden während der Arbeit mit Kühen [38]. Unter polnischen Landwirtschaftslehrlingen (Durchschnittsalter 19 Jahre, Bauernkinder 87,5%) war die Sensibilisierungsrate deutlich niedriger: Nur 1 von 136 untersuchten Lehrlingen (0,7%) war Pricktest-positiv, kein Lehrling hatte Beschwerden durch Kontakt mit Rind [42]. Das weist darauf hin, daß die Sensibilisierungsrate mit Alter zunimmt, doch in meisten Fällen die Sensibilisierung klinisch stumm bleibt. Im Gegensatz zu Polen und anderen europäischen Ländern, sind in Finnland Rinderallergene die häufigste Ursache für berufliche Kontakturtikaria [22]. Dies hat zwei mögliche Gründe: Durch das kalte Klima verbleiben die Tiere bis zu 9 Monaten lang in Kuhställen. Außerdem rasieren finnische Farmer ihre Kühe regelmäßig um sie "sauber aussehen" zu lassen. Zusammen führt das zur übermäßigen Allergenexposition der Landwirte (Susitaival, persönliche Mitteilung). Finnische Forscher haben den Zusammenhang zwischen Allergenkonzentrationen in Rinderställen und humoraler Immunantwort der Farmer bestätigt [47, 48]. Durch die hohe Stabilität des Majorallergens Bos d 2 sowie sein Auftreten in Wohnbereichen der Bauernhäuser wird die Allergenexposition zusätzlich verstärkt [6].
Die Beschwerden der hier beschriebenen Patientin sind eindeutig auf den Kontakt mit Kühen zurückzuführen. Neben deutlicher Anamnese, sprechen auch die Ergebnisse von Hauttests, IgE-Bestimmung und positive bronchiale Provokation dafür. Die Positivität auf Ziegenallergene ist wahrscheinlich eine Kreuzreaktion, da die Patientin in ihrem Leben keinen Kontakt zu Ziegen hatte. Die Kreuzreaktionen zwischen Rinder-, Ziegen-, Schaf-, und auch Rehallergenen sind molekular und klinisch dokumentiert [27, 40, 43].
Danksagung
Der Autor bedankt sich herzlich bei Herrn Dr. med. Thomas Rustemeyer (Amsterdam) für die sprachliche Überprüfung des Manuskripts, sowie bei Vertreterinnen der Firma Allergopharma: Frau Dr. med. Joanna Nizio-Masior (Kattowitz) und Frau Birgit Helms (Reinbek), für die Beschaffung der Informationen über die bronchiale Provokation mit Allergopharma-Rinderallergenen.
For personal use only. © Dustri Verlag.
Contact Dr. Spiewak | Back to article list | Website's front page |